Die Provokation ist vorbei – Retrokellertechniken, wie lange Maischestandzeit, null Filtration oder Verzicht auf Schwefel haben ihren revolutionären Charakter verloren. In manchen Weingütern gehört es heute zum guten Ton, einen alternativen Wein – ob Orange, Pet Nat oder Natural – im Programm zu haben. Andere mischen Chargen ihren klassischen Weinen bei, um ihre Struktur zu verbessern.
Die Orange-Wein-Szene steckt in der Konsolidierung. Noch vor ein bis zwei Jahr brodelte die Weinwelt, wenn es um Orange ging – ob aus Gründen der hitzigen Debatte über das Gut oder Schlecht des neuen Weinstils, bei dem Weißwein im Rotweinverfahren hergestellt wird, oder der Menge an neuen Oranges, die das Licht der Welt erblickte.
Heute scheint die Stimmung zumindest auf Winzerseite etwas abgeklärter. „Bis vor einem Jahr hat sich gefühlt jeder an Orange Wine versucht. Das ist deutlich weniger geworden“, sagt Christian Lebherz, Inhaber der auf Vin Naturel spezialisierten Frankfurter Weinhandlung Cool Climate. Es sei spürbar, dass die Winzer, die „guten Stoff“ machten, blieben, während andere das Experiment wieder eingestampft hätten. „Eine neue Entwicklung ist, dass heute nur noch 70 Prozent miserabel schmecken“, urteilt Blogger und Betriebsleiter im Weingut Balthasar Ress Dirk Würtz, der selbst einen Orange im Programm hat. Der positive Aspekt der steigenden Qualität: Bei den Weintrinkern wird der Stil immer beliebter. „Früher war das nur was für Freaks“, so Würtz.
Wie Ress haben einige – gerade junge – Weingüter einen Orange Wein als vierte Weinfarbe neben dem Rosé in ihr Angebot mit aufgenommen. Orange Wein steht nämlich nicht nur farblich zwischen Weiß- und Rotwein. Bei der Produktion werden weiße Trauben wir rote behandelt, also auf der Maische vergoren. Dadurch lösen sich Bestandteile, wie Tannin und Farbpigmente aus den Traubenhäuten und verleihen den Weinen eine andere Geschmacks- und Farbstruktur: Sie verfügen oft über ein deutliches Tanningerüst, eher geringen Sortencharakter und eine dunkelgelbe bis orangene Farbe.
Einen Orange Wein im Programm hat etwa das rheinhessische Weingut Braunewell, das aus Grauburgunder einen strahlend orangefarbenen Wein macht. „Wir hatten auch mit anderen Rebsorten experimentiert“, sagt Winzer Christian Braunewell. Beim Sauvignon Blanc habe die Orange-Stilistik aber die vom Kunden erwartete Saftigkeit und Typizität überdeckt. „Bei Riesling schaukeln sich Säure und Tannin gegenseitig hoch – da fehlt die Eleganz“, so Braunewell. Aus den Versuchen mitgenommen hat das Weingut aber eine andere Einsatzmethode der Oranges. „Wir stellen für manche unsere Weine kleine Mengen maischevergorener Weine her und rückverschneiden sie. Damit geben wir besonders unseren Lagenweinen mehr Gripp und Struktur“, sagt Braunewell. Bis zu 30 Prozent gibt er etwa dem Grauburgunder aus der Lage Klopp bei.
Damit sind sie nicht die einzigen. Auch VDP-Winzer Reiner Flick veredelt seine Lagenweine mit etwas maischevergorenem Wein. Allerdings nur im niedrigen Prozentbereich. „Dies ist ein Mosaiksteinchen, mit dem wir unseren Weinen zusätzliche Komplexität, Struktur und Haltbarkeit verleihen wollen“, so Flick.
Verbreitet hat sich in den vergangenen Jahren auch die Spielart der Natural Wines. Das sind Weine, die weitgehend ohne chemische Zusätze, wie Schwefel, oder maßgebliche Eingriffe im Keller hergestellt werden. Das bedeutet Spontanvergärung mit den eigenen Hefen, ein langer Kontakt mit der Vollhefe, um den Wein haltbar zu machen, und wenig bis keine Filtration – handwerkliche Schritte, die auch bei manchen Oranges angewendete werden, zum Konzept gehören sie dort aber nicht.
„18“, „32“ und „42“ nennt das Weingut Ress seine Natural Wines. Der Name orientiert sich an der Zeit, die der Wein auf der Vollhefe liegt. „Demnächst können wir auch einen „60“ machen“, sagt Würtz. Fünf Jahre hat der Wein dann auf der Vollhefe gelegen. Das ist riskant, denn im Kontakt mit der Vollhefe können auch jede Menge Fehlentwicklungen stattfinden. „Man braucht dafür schon Geduld und gute Nerven“, sagt Würtz. Schließlich gebe man mit dem Schwefel auch einen Teil an Kontrolle auf, sagt Händler Lebherz. Es sei ein Tauschgeschäft: Individualität gegen Kontrollierbarkeit. Heraus kämen dabei aber oft bemerkenswerte und komplexe Weine. Das Risiko lohnt sich also. Bei Ress lagern deshalb mittlerweile auch andere Weine, etwa auch Grosse Gewächse, länger auf der Vollhefe.
Die maximale Ausdehnung des Hefekontaktes durchlebt aber der sogenannte Pet Nat, der Pétillant Naturel. Diese Perlweine entstehen, in dem der Most während der Gärung samt Hefe abgefüllt wird und dann in der Flasche weitergärt – so kommt das CO2 in den Wein. Beispielsweise das fränkische Weingut Ludwig Knoll oder Riffel aus Rheinhessen stellen solche Weine her. Auf die Spitze treibt das Prinzip aber ein junger Winzer in Franken: Mathias Meimberg. Bei seinem Boessneck Black Nature durchläuft der Wein nicht nur eine, sondern zwei Gärungen, wie bei der Methode Traditionell. Nur lässt Meimberg die Hefe einfach in der Flasche, anstatt sie zu degorgieren. „So kann der Wein auch beim Kunden weiter auf der Hefe reifen und der Geschmack verstärkt sich noch“, sagt Meimberg. Zudem schmecke jedes Glass etwas anders, während der erste Schluck eher ein klassischer Brut Nature sei, werde der Schaumwein in Richtung Depot immer hefiger. 120 Flaschen produziert er – der Trend: steigend.
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