Herkunft matters: Mancherorts tauschen Winzer ihre Weinberge, um an besondere Lagen zu kommen. Andernorts schießen die Quadratmeterpreise für Filetstücke extrem in die Höhe. Ein Blick auf Deutschlands beste Weingärten …
‚Fünfzig Euro pro Quadratmeter‘ raunt es anerkennend, wenn man dieser Tage in Weinkennerkreisen das Stichwort Saumagen fallen lässt. Und oft erst im zweiten Moment: ‚Hammer-Weine …‘. Die Rede ist von der Pfälzer Lage Kallstadter Saumagen. Sie gehört zur Zeit zu den Hot Spots in Deutschlands Weinbergen. Und das bedeutet etwa für das Weine aus der Lage produzierende Weingut Rings nicht nur reißenden Absatz der Weine von den kargen Kalkmergelböden, sondern auch steigende Preise im Wingert. „Noch vor fünf Jahren waren die Parzellen der nördlich von Bad Dürkheim gelegenen Lage nicht einmal halb so teuer“, sagt Valentin Brodbecker, der als Weinfinanzexperte für Wine-Land Weingüter etwa beim Kauf und Verkauf berät.
Ähnliche Entwicklungen kann man zur Zeit verschiedenen Ortes beobachten – beispielsweise im Pettenthal im Roten Hang bei Nierstein und im benachbarten Hipping, im ebenfalls rheinhessischen Appenheimer Hundertgulden und Bechtsheimer Geyersberg oder im Hallgartener Hendelberg im Rheingau. Aber auch in traditionellen Renommier-Lagen, wie in den exponierten Schiefer-Steillagen des Rüdesheimer Bergs oder in Assmannshausen ist zur Zeit Bewegung. Junge Winzer, aber auch gestandene Weingüter suchen nach besonderen Terroirs. Weinbergslagen werden neu entdeckt oder interpretiert. Schließlich sind Weinliebhaber in den vergangenen Jahren nicht nur experimentierfreudiger sondern auch qualitätsbewusster und anspruchsvoller geworden – gerade auch wenn es um deutschen Wein geht. Der Trend in Deutschlands Weinszene: Herkunft matters.
Einen Teil dieses Erfolgs kann sich der seit über hundert Jahren die Lanze für hohe Weinqualität brechende Verband Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) auf die Fahne schreiben. Denn der VDP-Leitgedanke „Je enger die Herkunft, desto höher die Qualität“, der die Philosophie des verbandsinternen vierstufigen Klassifikationsmodells knackig zusammenfasst, hat heute eine Reichweite, die deutlich über die rund 200 VDP-Mitglieder hinausgeht. Im Februar 2017 haben sich beispielsweise rund 70 rheinhessische Winzer – davon dreiviertel Nicht-VDPler – zur Winzervereinigung Maxime Herkunft Rheinhessen zusammengetan – ein Hauptpunkt des Maxime-Bekenntnisses: einer dreistufige Qualitätspyramide, deren Systematik an den VDP angelehnt ist. Die Eckpunkte: Keine trockenen Prädikatsweine, keine Großlagenbezeichnungen und die empfohlenen Maximalerträge orientieren sich ebenfalls am Verband mit dem Traubenadler. Auch andere Winzer nutzen freiwillig die klar formulierte Qualitätspyramide. Auf dem Hambacher Schloss in Neustadt a. d. Weinstraße präsentieren etwa Pfälzer Winzer, die sich konsequent an die Klassifikation halten, einmal jährlich bei der „Lagenart“ ihre Weine.
Die viel gepriesene Qualifikationspyramide setzt dabei ganz klar auf Herkunft aus besten Lagen. An ihrer Spitze stehen die Weine aus den besten deutschen Rebgärten – die klassifizierten VDP Grossen Lage – trocken ausgebaut sind das die VDP Grossen Gewächse, die sogenannten GGs. Eine Stufe darunter folgen die Weine aus VDP Ersten Lage – aus „erstklassigen Lagen mit eigenständigem Charakter“ – , dann die Ortsweine und Gutsweine. Der Vorteil für den Verbraucher – er weiß jederzeit auf welcher Qualitätsebene er sich befindet und woher der Wein stammt, den er im Glas hat.
Denn die Vergangenheit der Weinbezeichnungen und des Umgangs mit dem Wert individueller Weinbergslagen in Deutschland ist eine dunkle. Mit bestem Vorsatz und einem enormen Kraftakt wurden 1971 in einem neuen Weingesetz deutschlandweit 30 000 Lagen auf ein Achtel dieser Zahl (2658) zusammengefasst. Großlagen wie Rauenthaler Steinmächer, Wiltinger Scharzberg oder dem Niersteiner Gutes Domtal wurden geschaffen – ihre Bezeichnung war von der der viel wertvolleren Einzellagen nicht mehr zu unterscheiden. Noch dazu definierte das Gesetz alle Weinbergsflächen als Qualitätsfläche. Die Idee: Winzer mit vielen Kleinstlagen sollten auf diese Weise wieder eine vermarktbare Menge Wein unter einem Lagennamen herstellen können. Doch man schoss über das Ziel hinaus – das Ergebnis: Die deutschen Lagennamen verloren an Vertrauenswürdigkeit, weil sie keine Qualität mehr garantierten, und damit an nach und nach an Bedeutung. Spätestens seit Mitte der 1980er Jahren ging der VDP massiv gegen diese Verwässerung und Gleichmachung an und startete Klassifizierungs-Initiativen, um die unterschiedliche Wertigkeit der Lagenangaben zu dokumentieren und dem deutschen Wein seinen guten Ruf wiederzugeben. Im 1996er VDP-Manifest hieß es: „Eine Klassifizierung der Weinberge, deren Vorteil andere Weinbauländer längst erkannt haben, sichert unser gemeinsames Kulturerbe für die Zukunft“. 1998 wurden einheitliche Klassifikationsgrundsätze geschaffen, 1999 wurde im Rheingau eine Gütekarte aller Rheingauer Lagen veröffentlicht. Dennoch brauchte es noch einmal 13 Jahre und verschiedene Entwicklungsstufen, bis der VDP 2012 seine heute von vielen als Vorbild genutzte Klassifikations-Pyramide verabschiedete.
Dem VDP eigen ist dabei aber die tatsächliche Bewertung der klassifizierten Weinberge. VDP Grosse Lage ist qua Definition und Prüfung nur eine hochwertige Weinbergslage, die Böden mit expressivem Lagencharakter, optimale Sonneneinstrahlung und Hangneigung, ein gutes Wasserspeichervermögen und Windschutz besitzen. Orientierung bietet außerdem die königlich Bayerische Bodenbewertung von 1828. Obendrein muss der Winzer seinen Wein in jedem Jahr prüfen und beurteilen lassen. Das bedeutet, dass innerhalb der amtlichen Einzellagen der VDP oft nur Teilstücke als Grosse Lage anerkennt.
So weit ist man bei der Maxime Herkunft Rheinhessen noch nicht. „Uns geht es darum, den Kunden ein klar verständliches Qualitätssystem an die Hand zu geben. Wir wollen Rheinhessen als Region weiter nach vorne bringen, in dem wir sie in ihrer Vielfalt abbilden. Bei uns ist die Innovationskraft hoch – viele junge Winzer bringen immer wieder neue Ideen ins Spiel. Eines Tages werden wir uns wahrscheinlich auch Gedanken über die Güteklassifizierung unserer Lagen machen. Aber dafür ist es noch zu früh“, sagt Johannes Geil-Bierschenk, 1. Vorsitzende der Maxime.
An spannenden und nachgefragten Weinbergslagen mangelt es in Rheinhessen derzeit allerdings ohnehin nicht. Neben Rheinfront und dem von jungen, dynamischen Winzern dominierten Appenheim (Bischel, Riffel) ist auch im sonst ja traditionell geprägten Wonnegau jetzt einiges los: so wird gerade der an die vom VDP als Grosse Lage klassifizierten Morstein angrenzende Höllenbrand wiederbelebt, und um Dittelsheim und Bechtsheim haben Winzer wie Jochen Dreißigacker und Stefan Winter neue Lagen auf den deutschen Weinradar gebracht. Und im Westen haben Daniel Wagner-Stempel und die Runkel-Brüder vom Weingut Bischel Parzellen in den für Rheinhessen wohl untypischsten Lagen getauscht: der Heerkretz, die in puncto Vulkanboden (Porphyr) und Kühle schon eher in Richtung Nahe tendiert und den Scharlachberg, dessen Quarzituntergrund und Rheintalklima eigentlich näher am Rheingau zu verorten wäre.
Etwas weiter im Süden, jenseits der Grenze zur Pfalz fällt außerdem immer wieder der Lagenname Kastanienbusch. In der in Birkweiler gelegene VDP-klassifizierte Lage produzieren die VDP-Mitglieder und qualitativen Schwergewichte Ökonomierat Rebholz und Dr. Wehrheim bereits Grosse Gewächse – Friedrich Becker besitzt ebenfalls Weinberge, genauso wie die beiden Drei-Trauben-Betriebe Weingut
Siender und Weingut Gies-Düppel. „In der südlichen Pfalz passiert derzeit einiges“, sagt Investmentspezialist Brodbecker. Hier seien die Bodenpreise derzeit auch am Steigen.
Nicht zu vergleichen sei die Lage aber mit der Mosel. „In den Kernlagen, wie der Brauneberger Juffer oder der Sonnenuhr kostet der Quadratmeter ab 150 Euro – und man kann froh sein, überhaupt etwas zu bekommen“, sagt Brodbecker. Im Berncasteler Doctor etwa, sei nichts mehr zu haben. Das gelte auch für die Saar. „Die Lagen haben die Winzer vor Ort unter sich aufgeteilt.“ Es sind die Hottest Spots, die Deutschland zu bieten hat und auch die traditionellsten. Sie tauchen bereits auf noblen Restaurantkarten der 1920er Jahre auf, etwa im Berliner Nobelhotel Adlon: der Scharzhofberger natürlich, der Wiltinger Gottesfuß oder die Kupp. Hundert Jahre ist das her – und manche Lagen, wie der Gottesfuß, waren zwischenzeitlich kaum mehr sichtbar. Heute erleben sie eine neue Hochphase. Und das Revival der Lagen hat gerade erst begonnen.
In-Lagen
Saumagen, Kallstadt (Pfalz)
Hendelberg, Hallgarten (Rheingau)
Hundertgulden, Appenheim (Rheinhessen)
Pettenthal, Nierstein (Rheinhessen)
Birkweiler, Kastanienbusch (Pfalz)
Traditionelle Lagen
Berg Rottland, Rüdesheim (Rheingau)
Doctor, Berncastel (Mosel)
Frühlingsplätzchen, Monzingen (Nahe)
Bienenberg, Malterdingen (Baden)
Ungeheuer, Forst (Pfalz)
Dieser Text ist in gekürzter Form im Gault & Millau 2018 erschienen.
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