Endlich! Gastronomen schenken immer öfter hochwertige Weine auch „by the glass“ aus – wo es jetzt überall Topweine im 0,1- oder 0,2-Format gibt
Sie liest sich wie die Forbes 100 der deutschen und internationalen Weinwelt: Spitzengewächse von Topwinzern wie Philipp Wittmann, Schäfer-Fröhlich, Dr. Bürklin-Wolf oder Peter Jakob Kühn stehen neben gereiften Weinen aus renommierten Lagen, wie einem 2000er Chassagne Montrachet, einem 2003er Vosne Romanée, einem 1985er Pomerol oder einem 99er Chateau Musar rouge aus dem Libanon. Die Rede ist nicht von der Flaschenweinkarte eines der knapp 300 deutschen Sternerestaurants. Wer hier stöbert, sucht sich gerade einen offenen Wein im Berliner Restaurant Glass aus. Denn im Glass gilt: Was auf dieser Karte steht, kann offen getrunken werden – ausgenommen sind einzig eine Hand voll Vintage Champagner.
Mit dieser offenen Vielfalt ist das Glass einzigartig in Deutschland. Möglich macht die große Auswahl das Konservierungssystem Coravin. Dieser Apparat erlaubt es, kleine Mengen Wein aus Flaschen zu entnehmen, ohne diese zu öffnen. Die Stabilität und Frische der Weine bleibt damit für einen gewissen Zeitraum gewährleistet – laut Hersteller sogar für ein Jahr und länger. Auch andere Apparaturen helfen heute, Weine länger haltbar zu machen. Eigentlich müsste das Angebot an offenen Weinen in der Gastronomie gerade durch die Decke gehen.
Schließlich ist der Bedarf hoch. „Die Gäste trinken weniger, aber qualitätsbewusster“, sagt Marco Pargger, der vor drei Jahren das Restaurant Little London in München eröffnet hat. Auch er arbeitet mit Coravin, auch er würde jeden Wein aus seinen 350 Positionen offen anbieten. Angestachelt hat ihn, dass er selbst bei Restaurantbesuchen immer wieder von der offenen Weinkarte enttäuscht war. „Viele Weinliebhaber trinken zu Hause besser, als im Restaurant“, sagt er. Zum einen seien die Flaschenpreise oft viel zu hoch, zum anderen gebe es keine flexiblen Möglichkeiten. „Wenn am Tisch ein Gast Fisch und ein Gast Fleisch bestellt, macht es schon Sinn, unterschiedliche Weine zu kombinieren. Oft haben Gäste auch einen unterschiedlichen Geschmack, Frauen trinken eher Schaum- oder Weißwein, Männer eher rot“, so der Münchener Gastronom.
Zudem ist ja nicht jeder Gast automatisch ein Weinkenner. „Viele Gäste schrecken davor zurück, eine ganze Flasche eines Weines zu bestellen, den sie nicht kennen und einschätzen können“, sagt Marco Müller vom Rutz in Berlin. Er ist beim Thema offener Weinausschank ein alter Hase. Vor 16 Jahren gehörte er zum Gründungsteam einer der ersten deutschen Weinbars. Vor allem den deutschen Weinen und jungen Winzern eine Bühne zu geben, lag und liegt ihm am Herzen. „Mit offenen Weinen kann man Gäste besser an das heranführen, was sie wirklich mögen. Sie haben die Möglichkeit auszuprobieren. Was nicht schmeckt, muss nicht getrunken werden“, so Müller. Selbst wenn das mal eine ganze Flasche ist. „Die bieten wir dann eben offen an – unsere Gäste schätzen diese Flexibiltät.“
Halbe Flaschen hingegen setzen sich in der Gastronomie kaum durch. „Eigentlich ein schönes Format“, sagt Axel Bode vom Restaurant Witwenball in Hamburg. Eine ganze Flasche wirke auf Gäste oft auch einfach als große Menge. Dennoch würde das 375ml-Format nicht nur kaum nachgefragt, bei den Winzern fände er auch selten Weine in kleinen Flaschen. Ein Grund dafür ist sicherlich auch, dass Weine in den Miniflaschen deutlich schneller reifen, als in größeren Bouteillen. „Für junge frische Weine sind die kleinen Flaschen noch akzeptabel. Bei allen anderen ist das Risiko einer frühen Oxidation zu hoch“, sagt Pargger vom Little London.
Während also auch Winzer kleine Flaschen wenig unterstützen, haben sie die Möglichkeiten des „Wine by the glass“ durchaus erkannt. „Bei uns geht die Tendenz durchaus zu höherwertigeren Weinen – auch weil unsere Winzer sich das wünschen“, sagt Andreas Schnura vom Mainzer Restaurant Laurenz. Er nimmt zunehmen höhere Qualitäten auf seine rheinhessisch geprägte offene Karte mit über 30 Weinen. „Leider ist das Mainzer Publikum recht preissensibel – aber wir testen“, sagt Schnura. Zur Zeit kostet der teuerste Wein auf der Karte 8 Euro für 0,2 Liter.
Für solche Preise sind die Topweine und Raritäten in Restaurants, die ihre gesamte Karte offen anbieten, nicht zu haben. Bei Gal Ben-Moshe im Restaurant Glass liegen die Preise der 180 Positionen zwischen acht und 100 Euro für 0,1 Liter – Grosse Gewächse kosten 20 bis 30 Euro. Der teuerste Wein der Berliner: der 1994 Scharzhofberger Riesling Auslese von Egon Müller – 85 Euro zahlt man für das 5cl-Sußweinglas. Ein Preis, für den viele Gäste nicht mal eine Flasche kaufen würden. Aber, wann und wo bekommen Weinliebhaber schon einmal die Möglichkeit, einen Wein eines solchen Kalibers zu probieren – Flaschenpreis: 500 Euro für ein kleines Süßweinfläschchen und in der echten Welt kaum zu bekommen.
Fotocredit/Beitragsbild: Weinbar Rutz
Dieser Text ist in gekürzter Form im Gault & Millau 2018 erschienen.
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